8. Utopien ökologischer Kunst
8. Utopien ökologischer Kunst
Die Diskussion um den Klimawandel hat auch vor dem Kunstbetrieb nicht halt gemacht. Seit Jahrzehnten warnen viele Künstler:innen vor der ökologischen Katastrophe und/oder versuchen neue Lebensformen ästhetisch zu imaginieren. Allerdings sind nicht nur die Gletscher betroffen, sondern auch die Ozeane leiden. Deswegen hat die Unesco eindringlich zum Schutz der Ozeane gemahnt und das Jahrzehnt der Ozeane ausgerufen.
Nach der Ernüchterung der technikbasierten künstlerischen Utopien stellt sich die Frage nach deren Fortbestand im Kontext künstlerischen Schaffens, denn angesichts größerer und kleinerer ökologischer Katastrophen wird deutlich, dass sich das utopische Potential von Technologien erschöpft hat (Ann-Kathrin Günzel, 2020) und viele technische Medien sich durch kommunikative Verwerfungen auszeichnen. Ein an ökologischen Problemen geschulter Blick lässt Kunstwerke jenseits des Kanons entdecken, dabei scheint, es als formulierten sich Utopien im ästhetisch-sozialen Raum, vielfach auf der Basis von “community work" und als Praktiken des sozialen und ökologischen Engagements (Johannes Meinhardt, 2019).
Diesen Verschiebungen im Kunstbetrieb korrespondieren Positionen, die sich kritisch mit dem Anthropozän und dessen Diskursen auseinandersetzen. Vor allem der Begriff des ökologischen Denkens konstatiert eine Abkehr vom rational-linearen Denken der Moderne hin zu dynamischen-differenzorientierten Formen, die sich unter dem Begriff der Ökologie subsumieren lassen. Dieser der Kybernetik und Systemtheorie entnommene Begriff wurde von dem Literaturwissenschaftlicher Hubert Zapf als Dynamik des kulturellen Austausches verstanden. Kulturökologie ist demnach die Wirkweise “innerhalb der Gesamtheit kultureller Diskurse”, und sie dient keineswegs “einer Verbindung und Harmonisierung, sondern gerade des Herausbringens konfliktorischer Kräfte und der Rekonstruktion und sprachlich-symbolischen Repräsentation von Komplexität. (...) Es ist eine wesentliche Erkenntnis der modernen Ökologie, dass auch die Prozesse der Natur keineswegs durch Einfachheit, sondern durch irreduzible Vielgestaltigkeit und Komplexität gekennzeichnet sind” (Hubert Zapf, 2002). Der Blick auf das Anthropozän macht die Dringlichkeit angemessener Konzepte deutlich und fordert Reaktionen ein. Davor schrecken weder Künstler:innen noch Museen zurück, wie die aktuelle Ausstellung im Karlsruher ZKM zu Critical Zones dokumentiert (Pamela Scorozin, 2020). Der utopische Gehalt zeitgenössischer Arbeiten liegt oft in der Hinwendung zu indigenen Weltbildern, der Thematisierung ökologischer Szenarien, Formen der kollektiven Arbeit und der Ausbildung regionaler Communities. Utopie konzipiert als Arbeitsweise bzw. ästhetische Struktur umschifft die Unmöglichkeit positiver sozialer Utopien, denn nach den literarischen und filmischen Dystopien des 20. Jahrhunderts lassen sich Utopien schwer formulieren. Um damit der Naivität „reiner” Utopien zu entgehen, kollabiert die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood Utopien und Dystopien im Konzept der ‚Ustopia’, die jeweils immer eine latente Version der anderen in sich enthielten. So folgert sie, „within each utopia, a concealed dystopia; within each dystopia, a hidden utopia” (Margaret Atwood, 2003). Bekannt geworden durch die Verfilmung und den Erfolg des dystopischen Romans The Handmaid’s Tale (1985) bietet Margaret Atwood vor allem in der zu Anfang des 21. Jahrhunderts publizierten MaddAddam Trilogie (ix) das Bild einer ustopischen Gesellschaft, die trotz ihrer technischen Komplexität weder Klimawandel noch Artensterben oder Gentechnologien kontrollieren kann.
Die thematische Vielfalt der Trilogie bietet einen Überblick über sozial relevante Themen, die vor allem in den zeitgenössischen Ästhetiken des Engagements aufgegriffen sind. Damit richtet sich die Frage nach möglichen Utopien in der zeitgenössischen Kunst nicht unbedingt auf utopische ausformulierte Inhalte, sondern auf Themen, Arbeitsweisen, Fokussierungen.
In diesem Kontext gilt der Taucher und Künstler Jürgen Claus sicherlich als einer der ersten Künstler submariner Welten. Die “Gärten von Sharm” (1978) feiert die Korallenwelten des Roten Meeres, in die der Künstler riffartige Formen einpflanzt. Seine Unterwasserskulpturen verstehen sich als Versuch, den submarinen Raum künstlerisch zu erforschen und dessen ökologische Bedeutung zu demonstrieren. Der submarine Raum ist damit zu einem utopischen Fluchtpunkt geworden, dessen Dispositive und Wahrnehmungsweisen grundlegend in die Taucherfilme, private Videoaufnahmen und großangelegte Naturdokumentationen hineinwirkten.
In ähnlicher Weise baut der britische Künstler (und ebenfalls Taucher) Jason deCaires Taylor Alltagsszenen unter Wasser nach. In seinen großangelegten Unterwasser-Parks wie z. B. dem 2006 entstandenen „first underwater sculpture park“ in Moiliniere Bay (Grenada) wurden 65 Skulpturen aufgebaut, der zweite Park entstand 2009 in der Nähe von Cancun (Mexiko). Mit Hilfe eines Kollektivs aus lokalen Künstler:innen, Studentent:innen und Umweltwissenschaftler:innen fertigt Taylor aus PH-neutralem Material Abbilder der örtlichen Bevölkerung an, die dem immensen Druck der Wassermassen standhalten müssen. Diese werden im Meeresboden verankert und wandeln sich langsam zu Bestandteilen der Meeresökologien (Elizabeth DeLoughrey, 2017). Die utopischen Aspekte des Skulpturenparks entstehen in der Angleichung der Skulpturen an die submarinen Welten, die zu Unterwasser-Wesen und Korallen werden.
Hier steht der Prozess der Veränderung und des biologischen Wachsens im Vordergrund wie auch in Mark Williams und Jan Zalasiewiczs Projekt Forest Garden Beneath the Anthropocene Seas (2020), welches die Kulturtechnik des ‚Gardening‘ in submarine Welten überträgt. Als Anlass für dieses Projekt steht die Überlegung, dass der Ozean alle Grundlagen des Lebens liefere und die entsprechenden Regenerationsmaterialien bereithalte sowie als Thermostat für das Erdklima wirke. Das Projekt sucht das prekäre ökologische Gleichgewicht submariner Welten gegen die Zerstörung durch Fischerboote wiederherzustellen und wirbt für ein Verständnis der ökologischen Dynamiken.
Die zunehmende Beschäftigung mit den “geheimnisvollen” submarinen Welten prägte in historischer Entwicklung zwei unterschiedliche Diskurse aus: Einerseits die visuelle Präsentation submariner Welten als Objekte der Anschauung mit dem entsprechenden medialen Dispositiv des “Fensters” auf fremde Welten, andererseits den nicht an visuelle Vorgaben oder mediale Dispositive gebundenen Diskurs des utopisch ‘Anderen’, das kulturell und regional besetzt werden kann (Elizabeth DeLoughrey, 2017). Unter der Bezeichnung ‘oceanic turn’ etablierten sich die kritischen Ozeanstudien, welche die Bedeutung der Meere für die Ökologie des Planeten betonten und auf die wachsende Bedeutung der Wasserwelten für den Weg aus der Klimakrise aufzeigten. Der Ozean wurde damit zum Träger einer philosophischen und ästhetischen Utopie, da er Räume jenseits des rationalen, modernen Denkens bereitstellte.
Als deutliche Utopie formuliert sich der Hydrofeminismus, der eine Theorie des Weiblichen als fluide und als Ort des ‘Anderen’ entwickelt, damit werden submarine Räume automatisch zur Utopie bzw. Gegenwelt. Jule Steinbachs Grafik “Unter Wasser fliegen” liefert die Veranschaulichung dieser Positionen. Die Koppelung von Weiblichkeit und Wasser ist ein traditioneller Topos und findet in den vielfältigen Mythen der Wasserwesen und Undinen seinen Ausdruck. Bei Juliane Steinbach wird das Wasser zum utopischen Lebensraum, der die Freiheit des “Fliegens” vermittelt. Ihre Taucherin bewegt sich wie eine Fliegerin durch das Wasser unbehindert von Apparaturen oder Technologien. Demgegenüber verweist Patricia Domínguez‘ Video La balada de las sirenas secas (The Ballad of the Dry Mermaids) 2020 schon im Titel auf die verschwindenden Lebensräume der Meerjungfrauen. Das Video inszeniert die Schönheit klarer Wasseroberflächen, um dann durch eine rückläufige Kamerabewegung trockene Landschaften zu präsentieren: Eine künstlerische Kritik an der Privatisierung der Wasserwirtschaft in Chile. Ähnlich wie die Autorinnen des Hydrofeminismus reklamiert sie Wasser als natürlichen Bestandteil von Körpern: “Water passes through us all. Our bodies belong to it.” Das Wasser wird in dieser Lesart zur unabdingbaren Bedingung für alles Leben und somit zum utopischen Gegenmodell für eine Politik Ökonomisierung und Wasserverknappung. Damit werden ökologische Gegenmodelle zu einer ökonomisch orientierten Politik häufig utopisch aufgeladen, insbesondere in den pazifischen Staaten, die noch mit den unglücklichen Folgen von Kolonialpolitik zu kämpfen haben (Paul D'Arcy, 2018).
Die visualisierende Erforschung von Korallen lässt besitzt eine lange Tradition, die sich bis in die Anfänge der Meeresforschung zurückverfolgen lässt. Korallen wurden aufgrund ihrer Schönheit und ihrer Fragilität als schwer zu konservierende Besonderheiten submariner Welten ausgeflaggt (Ann Elias, 2019). Im Zuge des Wissens um die Schäden des Klimawandel, flankiert vom akuten Korallensterben, wurden diese zu dessen Ikone und Markierung des aktuellen Zustands. Schutz und Rekonstitution von Korallen erfahren damit als symbolische Handlung zur Umkehr des Klimawandels ein außerordentliches Interesse und werden als Utopien in den Kunstdiskurs überführt. Auch aufgrund ihrer Fragilität werden die Korallenriffe zu utopischen Orten, welche auf deren Gefährdung hinweisen wie auch zu Orten alternativer, regionaler bzw. indigener Denkstrukturen und sozialer Fluchträume. Oft verbinden sich die Projekte um die Korallen mit gezielten kollektiven Aktionen, “community” ist hier das Stichwort. So auch in dem Video Hyena lullaby (2020) von Taloi Havini und Michael Toisuta, welches den Zustand der Korallen dokumentiert, die unter der Erwärmung und Verschmutzung des Wassers leiden. Doch trotz der erheblichen Bedrohungen gelingt den Korallen immer wieder die eigene Regeneration. Das Video bietet ein mystisches Bild der Korallenwälder und ihrer Bewegungen, die sich nach Wasser, Wind und Mondstand richten und somit von Strukturen einer zyklischen Erneuerung künden(xviii). Korallen werden damit zu ästhetischen Objekten des Utopischen und erfahren deutliche materielle Transformationen. So erstellt die Künstlerin Natasha Russel auf der Expedition „Unraveling Ancient Sea Level Secrets“ (August 2017) die Zeichnung „Coral Blanket“. Die Arbeit reflektiert das wissenschaftliche Verständnis von Korallenriffen wie auch die unterschiedlichen Darstellungskonventionen von Korallen. Ihre Zeichnungen lassen sich kombinieren, damit entstehen visuelle Informationsnetze zu historischen Korallenriffen. Gleichzeitig spricht die Arbeit über Beschreibungs- und Informationskulturen zu Thema. In ähnlicher Weise deuten die Zwillingschwestern Margaret und Christine Wertheim mit ihren gehäkelten und in beleuchteten Vitrinen aufgestellten Korallen auf die Gefährdung der Natur und die Gefahren des Klimawandels hin: Die in fünfzehn Jahren mit vielen Helfer*innen gehäkelten Korallen sprechen von der Schönheit der Korallen und warnen damit gleichzeitig vor deren Vernichtung (Sabine Maria Schmidt, 2019).
Die fulminante Zusammenführung der Kunstformen leistet Joan Jonas in ihrer multimedialen Inszenierung Moving Off the Land II (2019) in der Chiesa di San Lorenzo in Venedig sowie in der Ausstellung im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza (2020). Hier kombiniert sie Zeichnungen, Installationen, Video, Performance und Skulpturen in einer großartigen Hommage an den Ozean und dessen submarine Welten, seine Biodiversität und seine empfindliche Ökologie werden als utopisch-ästhetischer Raum inszeniert. Die multimedialen Arbeiten verbinden Videos, die sie an Stränden und Aquarien aufgenommen hat, Aufnahmen von fluoreszierenden Wasserwesen, die sie mit einer Vielzahl von geographischen Angaben kombiniert (Moving Off the Land). In ihrer multimedialen Inszenierung beschwört sie das Wasser als Ausgangspunkt allen Lebens:“the mind evolved in sea water made itpossible all the early stages took place in the water the origin of life". Damit evoziert sie einerseits die Mythenbildung von Weiblichkeit und Wasser, leistet einen ästhetischen Kommentar auf die Thesen des Hydrofeminisums und liefert sicherlich einen unverzichtbaren Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Wassers.
Quellen:
Atwood, Margaret. Oryx and Crake. London: Bloomsbury, 2003. 436 p. Print; Atwood, Margaret. The Year of the Flood. London: Bloomsbury, 2009. 434 p. Print; Atwood, Margaret. MaddAddam. London: Bloomsbury, 2013. 434 p. Print.
D’Arcy, Paul. „Lessons for Humanity from the Ocean of Ancestors“, Tidalectics. Imagining an Ocean Worldview through Art and Science.
Stefanie Hessler (Hg.). Cambridge, London: MIT Press, 2018, S.117-126.
DeLoughrey, Elizabeth, „Moments in Passing. Maritime Futures of the Anthropocene“, Comparative Literature, 2017, 69 (1):32-44, hier S.38.
Günzel, Ann-Kathrin. “post-futuristisch. Kunst in dystopischen Zeiten.” Kunstforum International 267. post-futuristisch (2020): 47–48. Print.Elias, Ann, Coral Empire. Underwater Oceans, Colonial Tropics, Visual Modernity, Durham, London: Duke University Press, 2019, S.29-81.
Meinhardt, Johannes. “Communities, oder das Versprechen von Glück.” Kunstforum International 262. Boderlines. Good Space (2019): 272–73. Print.
2019 Schmidt, Sabine Maria, „May You Live in Interesting Times. Kunst als Radar, große Gesten und die Poesie des Unsichtbaren“, Kunstforum International, Bd, 261, 58. Biennale Venedig. S.60-73, hier S.68.
Scorzin, Pamela. “Critical Zones. Horizonte einer Neuen Erdpolitik. ZKM 23.05.2020–28.02.2012.” Kunstforum International. Bd. 269. Entzauberte Globalisierung (2020): 296–97. Print.
Zapf, Hubert. Literatur Als Kulturelle Ökologie. Zur Kulturellen Funktion Imaginativer Texte an Beispielen Des Amerikanischen Romans. Tübingen: Niemeyer, 2002. 13. Print.
Abbildungen:
Abb.1