7. Affekte
7. Affekte
In den Diskussionen der Social Media werden häufig Affekte ausgedrückt, welche die Diskussionen massgeblich prägen. Zu den unangenehmen Erscheinungen gehören Shitstorms und andere Beleidigungen, die sich oft häufig in die reale Lebenswirklichkeit einschreiben. In den Diskussionen der Social Media werden häufig Affekte ausgedrückt, welche die Diskussionen massgeblich prägen. Zu den unangenehmen Erscheinungen gehören Shitstorms und andere Beleidigungen, die sich oft häufig in die reale Lebenswirklichkeit einschreiben. Die Medienwissenschaftlerinnen Katleen Gabriels und Marjolein Lanzing plädieren für eine Aufhebung der Trennung von Online und Offline Welten, die sich zunehmend ineinander verschieben: Der Begriff des „Onlife“ soll die Verschmelzungen erfassen (Gabriels/Lanzing 2020). Affekte können dementsprechend als Effekte spezifischer Medienkommunikationen begriffen werden. Eine erste Überlegung lautet dahingehend, dass die entsprechenden Kommunikationsformen in den Social Media eine Affektivität generieren, welche ein Zeichen für die intensive Verbindung von Medien und Subjekt ist. Affekt galt lange Zeit als Unbeherrschtheit der körperlichen Reaktion und damit als Gegenstück gegen den Vernunftbegriff der Moderne. Die breite Forschung zu Affekt und Medien betrachten den Affekt als körperliche Reaktion auf Information, die Teil der Kognition ist, sich aber zeitlich vor der rationalen Erkenntnis abspielt (Angerer 2018). Bereits Anfang der 2000er Jahre hatte Mark Hansen argumentiert, dass der Affekt-Körper die Schnittstelle für digitale Informationen sei. Es ist ein revidierter Medienbegriff gefordert, der grundlegend das Verhältnis von Subjekt, Kommunikation und Technologie neu denkt, wie es in der Debatte u.a. von Mark Hansen (2004) , Jussi Parikka (2016) oder Luciana Parisi (2009) angestoßen wurde. Insbesondere die zirkulären Kommunikationsprozesse der Social Media werden oft als dynamische Medienökologien bezeichnet (vgl. van Dijck 2013). Auf Grundlage dieser Überlegungen kann eine Analyse der Medienbeteiligung an den Debatten um Klimawandel und Ökologie nicht ausschließlich auf medialen Repräsentationen basieren, sondern das Zusammenwirken von Körper und Medium wie auch die virtuellen Zirkulationen von Bedeutung müssen in Betracht gezogen werden. Auf Grundlage eines dynamischen Medienbegriffs, der auf Feedback-Strukturen beruht, formuliert Parisi ein Konzept von Medien, welches das Ineinander von Medien, Wahrnehmung und Subjekt konturiert:With the ingression of a digital architecture in cybernetic culture, media have ceased to be instruments of communication and have become part of an atmospheric grid of connections where distinct milieus adapt together as microclimates in complex weather systems. [...] a mediatic environment unfolds through innumerable resonances through audio-visual, video-telephonic mobile connections ready to envelop a technoculture addicted to constant feeling [...].(2009, S. 182). Die vernetzten Kommunikationen der Social Media sind, wie eingangs angemerkt, allein durch ihre Medien und Kommunikationsform durch Affekt besetzt, d.h. der Affekt ist Teil des medialen Kognitionsprozesses. Menschen sind in Repräsentations- und Kommunikationssysteme eingebunden, die rationale Entscheidungsmöglichkeiten durch ihre Geschwindigkeiten unterwandern. Marie Luise-Angerer unterscheidet in zwei unterschiedlich Kognitionssysteme, die sich durch ihre Geschwindigkeit unterscheiden. Das System eins agiert schnell und kontrolliert, das heißt, Dinge werden wahrgenommen, ohne bewusst registriert zu werden, Wiedererkennungs- und Übersetzungsprozesse finden statt, ohne bewusst registriert zu werden, Wiedererkennungs- und Übersetzungsprozesse finden statt, ohne dass diese besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. System zwei ist das langsamere, das abstrakte Schlussfolgerungen und komplizierte Denkmodelle entwickelt. Menschen [...] leben vor allem mit System eins. Nichts belegt diese These deutlicher als die Hasstiraden und Shitstorms in den sozialen Medien (mit ihrem immensen Einfluß auf Politik und Öffentlichkeit) (Angerer 2022, S.18)
Weiterhin betont Angerer, dass die Affektgestaltung durch medientechnische Interventionen nur noch schwer zu kontrollieren sei, denn »Rechenleistungen und daran geknüpfte Entscheidungen, Mustererkennung, Verarbeitung von riesigen Datenmengen ermöglichen eine Verlagerung von ehemals ausschließlich humanen Denkleistungen und Operationen auf maschinelle Prozesse«. (2022, S.19) Katherine Hayles bezeichnet die Koppelung von Medium und Kognition als »cognitive unconscious«, welches auch die technischen Bedingungen von Kognition mitbedenkt, in dem Sinne, dass »these multi-level systems represent an externalization of human cognitive process« (2017), und sie damit ein maßgeblicher Teil medialer Kognitionen sind. In diesem Kontext können Angerers Überlegungen auf die Kommunikationsstrukturen der Social Media übertragen werden, die maßgeblich für den affektbesetzen Teil der Medienkommunikation zuständig sind. Die Verbindung von Krankheit und Körper sorgt für die starke Affektivität des Themas und verschiebt die Semantisierung von Krankheit in den sozialen Raum mit den entsprechenden desaströsen Konsequenzen. Im Falle der Covid-19 Kommunikationen der Impfgegner und Querdenker kommt die durch digitale Medien bestimmte Affektivität zum Tragen. Diese verleiht dem traditionell affektbesetzten Thema eine zusätzliche Irrationalität durch die Schnelligkeit der Kommunikation und die Zirkulation der Inhalte. Zudem wird deutlich, dass diese nicht mehr durch die Gatekeeper Funktionen kontrolliert werden, wie es im Qualitätsjournalismus und den Medienformaten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch der Fall ist. Selbst in den affektbesetzen Talkshows unterliegen Provokation und Affektkontrolle den Moderator*innen. Auch wenn diese die Stimmung scheinbar anheizen, stehen sie für die Affektkontrolle der Sendung ein. Demgegenüber ergeben sich für digitale Medien und deren spezifische Kommunikationsformen andere Modelle der Affektverarbeitung: Affekte werden durch die digitale Kommunikation produziert und zirkuliert. Dazu gesellen sich die spezifischen Kommunikationsstrukturen der Plattformen, die über algorithmische Funktionen weitere Affekte erzielen.Die Owen-Studie von 2019 stellt fest, dass »es die polarisierenden, reißerischen, potenziell falschen Inhalte sind, die am meisten diskutiert [sind] und die Interaktionsintensität erhöhen.« (Owen) Statistiken zeigen, dass die Hasskommentare, Verschwörungstheorien und selbstjudiziale Verfolgungsdebatten am besten abschneiden. Fox News ist nach dem Kriterium des »user engagement« der erfolgreichste Medienakteur auf Facebook in den USA.[11]
Die Debatte um Ökologien und Klimawandel ist inzwischen auch in den affektbesetzten Räumen der Social Media angekommen. Die Gruppe Letzte Generation https://letztegeneration.de agiert im Medienverbund der Social Media wie auch in Aktionen, vor allem in gewaltfreien Aktionen wie der Störung des Straßenverkehrs und der Attacke auf Kunstwerke. Die von ihr ausgelösten Affekte lassen sich weder auf den Online-Bereich, noch aktuelle Lebenswelten beschränken. In diesem Sinne stellt die Gruppe ein ausgezeichnetes Beispiel für die Onlife Wirkweise dar.
Literaturnachweis:
Angerer, Marie-Luise (2018): Vom Begehren nach dem Affekt. Berlin: Diaphanes. Angerer
Marie-Luise (2022): Nichtbewusst. Affektive Kurzschlüsse zwischen Psyche und Maschine. Wien, Berlin: Turia + Kant.